Treibhausgase in Echtzeit überwachen: Wie die Verwaltungsschale hilft

31.05.2024

Treibhausgase in Echtzeit überwachen: Wie die Verwaltungsschale hilft

Motivation

Der Klimawandel ist eines der größten Probleme unserer Zeit. Treibhausgasemissionen, die durch menschliche Aktivitäten entstehen, treiben die globale Erwärmung voran. Das führt zu extremen Wetterereignissen und verursacht enorme wirtschaftliche Schäden. Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2022, prognostiziert bis zum Jahr 2050 volkswirtschaftliche Schäden durch Extremwetter in Deutschland zwischen 280 und 900 Milliarden Euro, je nach weiterer Entwicklung des Klimawandels [1]. Daher ist es wichtig, Treibhausgasemissionen zu reduzieren – nicht nur, um die Umwelt zu schützen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen.

Das Ziel des Forschungsprojekts “FILPCO2 (Flexible Integration von Logistik und Produktion zur CO2 Reduzierung)” war es, eine Methodik zur Erfassung und Dokumentation von Treibhausgasemissionen zu entwickeln. Diese sollte die gesamte Wertschöpfungskette abdecken und Unternehmen helfen, ihre Emissionen präzise und zukünftig in Echtzeit zu erfassen und zu reduzieren. Dabei setzen wir auf die sogenannte Verwaltungsschale, eine digitale Repräsentation von Produktionsanlagen und Maschinen, um eine durchgängige und transparente Erfassung der Emissionen zu ermöglichen. Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit dem Institut für industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb der Universität Stuttgart und dem Steinbeis Transferzentrum Reutlingen durchgeführt. Zu unseren assoziierten Industriepartnern zählten die Weinmann Aach AG, ARBURG GmbH + Co KG und fischerwerke GmbH & Co. KG. Gefördert wurde das Projekt vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg.

Herausforderungen im industriellen Sektor

In Deutschland hat die Industrie im Jahr 2022 mehr als die Hälfte der benötigten Energien aus fossilen Brennstoffen wie Kohle und Erdgas gewonnen [2]. Um die Emissionen zu reduzieren, müssen Unternehmen auf erneuerbare Energiequellen umsteigen und ihre Produktionsprozesse optimieren. Dies ist jedoch nicht einfach, da viele Daten über Emissionen manuell gesammelt werden müssen und oft ungenau oder schlichtweg nicht vorhanden sind. Außerdem basieren aktuelle Methoden häufig auf veralteten Daten, was eine schnelle Anpassung und Optimierung erschwert.

Was ist die Verwaltungsschale?

Eine innovative Lösung für die standardisierte Repräsentation und Kommunikation von Daten ist die Verwaltungsschale (engl. Asset Administration Shell). Sie bietet eine standardisierte digitale Darstellung von Assets wie z.B. Maschinen, Produktionsanlagen, Komponenten oder auch Produkten entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Die Verwaltungsschale kann verschiedene Submodelle enthalten, die Informationen über Eigenschaften, Betriebszustände und Nutzung der Anlagen bereitstellen. Für die Dokumentation der erfassten Treibhausgase veröffentlichte die IDTA (Industrial Digital Twin Association) ein Submodel Carbon Footprint in einer ersten Version. Diese ermöglicht eine transparente Darstellung von Emissionen entlang der Wertschöpfungskette.

Normen und Standards

Es gibt viele Normen und Standards, die festlegen, wie Treibhausgasemissionen erfasst und berechnet werden sollten. Einige wichtige Normen sind:

  • DIN EN ISO 14064-1:2019-06: Diese Norm beschreibt, wie Treibhausgasemissionen auf Unternehmensebene erfasst und berichtet werden.
  • DIN EN ISO 14067:2019-02: Diese Norm legt fest, wie der Product Carbon Footprint (PCF) eines Produkts erfasst und berichtet wird.
  • PAS 2050:2011: Diese Norm bewertet die Treibhausgasemissionen von Gütern und Dienstleistungen über ihren gesamten Lebenszyklus.
  • Greenhouse Gas Protocol (GHG-Protocol): Ein international anerkannter Standard zur Erfassung und Berichterstattung von Treibhausgasemissionen.
  • DIN EN ISO 16258:2013 – 03: Diese europäische Norm legt eine Methode zur Berechnung und Deklaration des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen bei Transportdienstleistungen fest.
  • Global Logistics Emissions Council (GLEC) Framework: Eine Richtlinie zur Berechnung und Berichterstattung von Treibhausgasemissionen in der Logistik.
  • DIN EN ISO 14083:2023 – 11: Diese neue Norm dient der Quantifizierung und Berichterstattung über Treibhausgasemissionen von Transportvorgängen und baut auf bestehenden Normen auf, um konsistente Emissionsermittlungen zu gewährleisten.

Wie funktioniert die FILPCO2 Methodik

Die Methodik zielt darauf ab, Treibhausgasemissionen in Echtzeit zu erfassen und zu dokumentieren. Die Verwaltungsschale ermöglicht es, diese Emissionsdaten entlang der gesamten Lieferkette weiterzugeben, sodass eine ganzheitliche Betrachtung der Emissionen möglich wird. Diese Daten helfen Unternehmen, emissionsintensive Prozesse über die gesamte Wertschöpfungskette zu identifizieren und gezielt dort Maßnahmen zur Emissionsreduktion zu ergreifen, wo der größte Nutzen erzielt werden kann.

Zur Abbildung der gesamten Wertschöpfungskette basiert die FILPCO2  Methodik auf zwei Hauptdatenmodellen: einem für die Produktion und einem für die Logistik.
Diese Modelle bilden detailliert die Emissionen der jeweiligen Bereiche ab und ermöglichen so eine präzise Analyse und Optimierung.

Datenmodell – Produktion

Das Produktionsdatenmodell erfasst Emissionen, die direkt mit der Produktion verbunden sind. Es umfasst verschiedene Parameter, die in zwei Kategorien unterteilt sind:

  • Direkt messbare Parameter: Dazu gehören beispielsweise Emissionen aus verbrauchter Elektrizität, Druckluft, fossilen Energieträgern und den eingeflossenen Rohstoffen.
  • Indirekt ermittelte Parameter: Hierbei handelt es sich um Emissionen, die aus der Nutzung von Anlagen und Gebäuden resultieren und schwer direkt zu messen sind. Diese werden durch methodische Ansätze wie gravimetrische oder zeitbasierte Zuschlagsverfahren approximiert.

Das Modell ermöglicht die automatische Aggregation der Daten aus verschiedenen Quellen innerhalb eines Unternehmens, wie Produktions-IT-Systemen und Messvorrichtungen. Dies sorgt für eine durchgängige und effiziente Erfassung der Emissionen auf Prozessebene.

Datenmodell – Logistik

Das Logistikdatenmodell erfasst die Emissionen, die durch logistische Prozesse entstehen. Es basiert auf der DIN EN ISO 14083 und berücksichtigt sowohl direkte Emissionen aus Transportvorgängen als auch indirekte Emissionen aus Umschlags- und Lagerprozessen. Das Modell erfasst detailliert:

  • Transportoperationen: Emissionen, die beim Transport von Waren entstehen.
  • Huboperationen: Emissionen, die an Umschlagsorten entstehen, z.B. beim Transfer von Waren von einem Fahrzeug auf ein anderes.

Durch die Erfassung und Aggregation der Emissionen entlang der gesamten Transportkette können besonders emissionsintensive Prozessschritte identifiziert und gezielt optimiert werden.

Veranschaulichung in einem Demonstrator

Um die Methodik und ihre Vorteile zu demonstrieren, wurde eine reale Wertschöpfungskette teilweise simuliert. Die Simulation basiert auf echten Daten und Prozessen der beteiligten Industriepartner im Projekt.

Der Demonstrator fokussiert auf die Herstellung von fischer Dübeln und die vorgelagerten Produktions- und Logistikprozesse für den Bau der dazugehörigen Spritzgießmaschine der Firma Arburg. Dabei wird eine spezifische Komponente berücksichtigt, die von der Firma Weinmann angearbeitet und geliefert wird. Für diese Komponenten wird der Carbon Footprint mithilfe der Datenmodelle der einzelnen Fertigungs-, Intra- und Logistikprozesse berechnet und das Anwachsen der Treibhausgasemissionen in Echtzeit auf einem Dashboard angezeigt. Zusätzlich wird für jede Komponente eine Verwaltungsschale mit dem entsprechenden Submodel erstellt.

Der Demonstrator veranschaulicht, wie die Verwaltungsschale und die zugrunde liegenden Datenmodelle in Produktions- und Logistikumgebungen integriert werden können. Durch die Simulation erhalten Unternehmen einen praxisnahen Einblick in die Sammlung, Visualisierung und Nutzung von Echtzeitdaten über Treibhausgasemissionen. Dies ermöglicht eine effiziente Optimierung der Prozesse und eine effektive Reduktion der Emissionen entlang der Wertschöpfungskette. Der Demonstrator zeigt somit, wie die FILPCO2 Methodik zur nachhaltigen und effizienten Steuerung von Wertschöpfungsketten beitragen kann.

Fazit

Die vorgestellte Methodik zur unternehmensübergreifenden Echtzeitdatenerfassung von Treibhausgasemissionen ist ein vielversprechender Ansatz, um den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen. Durch die Nutzung der Verwaltungsschale können Emissionen entlang der gesamten Lieferkette transparent gemacht und gezielte Maßnahmen zur Reduktion ergriffen werden. Dies fördert eine nachhaltigere und wettbewerbsfähigere Wirtschaft. Zukünftige Forschungen sollten diese Methodik weiter verfeinern und in der Praxis validieren, um ihre Wirksamkeit zu bestätigen.

Der vorgestellte Ansatz zeigt, wie moderne Technologien und standardisierte Methoden einen wichtigen Beitrag zur Reduktion von Treibhausgasemissionen leisten können. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Industrie und Regulierungsbehörden ist entscheidend, um die globalen Herausforderungen des Klimawandels effektiv zu bewältigen.

Einen ausführlichen Artikel zu dem Forschungsprojekt finden sie in der wt WerktstattsTechnik online Ausgabe 4-2024 :

Echtzeitnahe Dokumentation von Treibhausgasemissionen auf Basis der Verwaltungsschale/Near-Real-Time Documentation of Greenhouse Gas Emissions Using Asset Administration Shells – VDI Verlag eLibrary

Quellen

  1. Flaute, M.; Reuschel, S.; Stöver, B.: Volkswirtschaftliche Folgekosten durch Klimawandel: Szenarioanalyse bis 2050 – Studie im Rahmen des Projektes Kosten durch Klimawandelfolgen in Deutschland. Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) mbH, Dez. 2022
  2. Energieverbrauch 2022. Zugriff am 7. März 2024. Internet: https://www.umweltbundesamt.de/bild/endenergieverbrauch-2022

Cheers

Christof !

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Christof

Christof Schillinger

Projektingenieur

  • Wasserstofferzeugung und -anwendungen
  • Digital Twin/ Asset Administration Shell
  • IIoT-Konzepte und -Anwendungen
  • Additive Fertigung
  • Praktika im Bereich Lehre
  • Schulprojekte